Motivation

STIFTUNG DES PETER-SINGER-PREISES FÜR STRATEGIEN ZUR TIERLEIDMINDERUNG

von Dr.med. Walter Neussel

Gestatten Sie mir zunächst einige persönliche Anmerkungen: Im Alter von 6 Jahren sah ich, wie ein Tier geschlachtet wurde und fand diesen Vorgang dermaßen widerlich, dass ich seither kein Fleisch mehr gegessen habe. Die Lektüre von Peter Singer’s bahnbrechendem Werk in der deutschen Fassung von 1982: „Befreiung der Tiere. Eine neue Ethik zur Behandlung der Tiere“ erweiterte wie bei vielen anderen Menschen auch bei mir die Sicht auf die Notwendigkeit eines rücksichtsvolleren Umgangs mit den evolutionsgeschichtlich uns so nahestehenden sogenannten Nutztieren. In meinem beruflichen Werdegang als Anästhesist, Intensivmediziner und Notarzt standen allerdings zu diesem Zeitpunkt Schmerzausschaltung und schnellstmögliche Notfalltherapie im Vordergrund, so dass ich das erste Rettungszentrum (also eine Einrichtung, die zugleich einen Rettungshubschrauber und einen Notarztwagen vorhält) im ländlichen Bereich weltweit ins Leben gerufen und unter maximalem persönlichen Einsatz mitgetragen habe. Man kann mir also jetzt, wenn ich mich nach meiner Pensionierung eher der Minderung von Schmerz und Leid bei Tieren widme, gerechterweise nicht vorwerfen, dass ich mich weniger um menschliches Leid als um Tierleid gekümmert habe und folglich auch zukünftig kümmern sollte. Soweit meine persönlichen Bemerkungen, warum mir Leidminderung speziell bei Nutztieren besonders am Herzen liegt.

Wie konnte es geschehen, dass sich nach dem 2. Weltkrieg eine Massentierquälerei gigantischen Ausmaßes in immer brutalerer Ausprägung global durchsetzen konnte? International agierende Konzerne unterliegen keinen adäquaten Regeln, die menschliche und tierische Ausbeutung auf schlimmstem Niveau verhindern, da es keine Weltregierung und damit auch keine weltweit verbindlichen Gesetze gibt und da so jeder moralische Standard im internationalen Wettbewerb kontinuierlich unterboten werden kann. Durch korrumpierende Einflussnahme auf Politiker und Journalisten sichern multinationale Konzerne ihr amoralisches Treiben ab und erzwingen ein ständiges Wachstum des Bruttosozialproduktes, was am besten durch ständig steigende Bevölkerungszahlen erreicht wird. Somit wird das deletäre Bevölkerungswachstum, welches in unheiliger Allianz zwischen den Multis und verschiedenen Religionsgemeinschaften, die uneinsichtig auch noch in der heutigen Zeit ein „Seid fruchtbar und mehret Euch“ propagieren, in wenigen Jahrzehnten zum Kollaps geordneter Lebensbedingungen auf der Erde führen, wenn dem nicht Einhalt geboten werden kann. Täglich steigt die Bevölkerungszahl um etwa 230000 Menschen und mit ihnen – mit einem Multiplikator von 3,5 – die Zahl der für sie in Massentierhaltung gequälten Nutztiere. Wenn man diesen Faktor einbezieht (bei allein 1,5 Milliarden Rindern auf der Erde), entspricht das insgesamt der Zunahme des Gewichtsäquivalentes von mehr als einer Million Menschen am Tag. Hieraus resultieren das menschliche Leben negativ beeinflussende und für Nutztiere qualitativ und quantitativ katastrophale Aspekte im Sinne unnötiger Leidensvermehrung und eine bald deletäre Klimaschädigung, wobei der völlig überzogene Fleischkonsum und die mit ihm verbundene Massentierhaltung mehr klimaschädliche Gase verursachen als der gesamte weltweite Verkehr zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Derzeit werden jährlich 56 Milliarden Nutztiere geschlachtet – also 56000 Millionen – bei stark zunehmender Tendenz! Allerdings haben UN-Studien gezeigt, dass es um 2025 nicht mehr genügend Wasser und landwirtschaftliche Nutzflächen geben wird, um 8 Milliarden Menschen zu versorgen. Nicht tierrechtlicher Einsatz, sondern der Zwang des Faktischen wird einen allmählichen quantitativen Rückgang der Massentierquälerei bewirken. Dieser geringe Hoffnungsschimmer sollte uns aber schon jetzt motivieren, über Alternativen zu unserem jetzigen Lebensstil nachzudenken, auch wenn „Zoopolis“, also ein politscher Ansatz, um Nutztiere als unsere Mit-Staatsbürger zu integrieren und dementsprechend weniger leiden zu lassen, eine Illusion bleiben wird.

Schon 1789, im Jahr der Französischen Revolution, schrieb der englische Philosoph Jeremy Bentham den berühmten, auch heute noch uneingeschränkt gültigen Satz: „Die Frage ist nicht: Können (Tiere) denken? Können sie reden?, sondern: Können sie leiden?“. Wenn man diese Position als wahr und richtig anerkennt und sich von realitätsfernen religiösen Phantasievorstellungen wie der einer Gottähnlichkeit des Menschen und einer unsterblichen Seele als Basis für eine sakrosankte, ausschließlich Menschen zustehende Würde löst, sind Rechtsverbesserungen für Tiere in vernünftigerer Weise diskutabel, da ja auch althergebrachte juristische Festlegungen grundsätzlich veränderbar sind. Als Beispiel hierfür sei angeführt, dass Homosexuelle noch vor wenigen Jahrzehnten für Jahre hinter Gitter gesperrt oder sogar in einigen Ländern zum Tode verurteilt werden konnten und noch verurteilt werden können. Inzwischen kann man aber in zivilisierten Ländern sogar gleichgeschlechtlich heiraten. Das allgemeine Rechtsempfinden hat sich also in diesem Falle innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes grundlegend im Sinne eines Verzichts auf Strafandrohung geändert. Umgekehrt kann man genauso darüber nachdenken, inwieweit massive tierquälerische Maßnahmen unter objektiven Bewertungskriterien ihrem Schweregrad entsprechend auch tatsächlich strafverfolgt statt wie bisher weitgehend toleriert werden sollen. Man könnte beispielsweise einen Putenmäster, dessen Mastsystem darauf beruht, dass er aus wirtschaftlichen Gründen Tiere heranzüchtet, deren Skelettsystem unter dem eigenen Körpergewicht zusammenbricht, nicht nur mit einer Geldbuße, sondern mit einer Gefängnisstrafe bedrohen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass eine solche nachgewiesene und dokumentierte Qualzucht von „Big-Six-Puten“ konkret gegen die Interessen einer rücksichtslosen Agrarlobby per Gesetz verboten wird und dementsprechend geahndet werden kann.

Zusammenfassend erscheint es deshalb als wesentlich, aber nicht als ausreichend, Leidminderungsstrategien zu Gunsten von Menschen und nichtmenschlichen Tieren aus utilitaristischen, tierrechtlichen, tugendethischen, sozialen und empathischen philosophischen Grundpositionen heraus zu überdenken. Es bedarf auch stringenter politischer Bemühungen, unzureichende und unzeitgemäße Gesetze zu ändern, überholte Religionsvorstellungen zu hinterfragen und unmoralische kapitalistische Bestrebungen zu bekämpfen. Die grausame und extrem klimaschädliche Massentierhaltung muss zurückgedrängt und möglichst ganz abgeschafft werden. Somit sollte neben Überlegungen zur qualitativen Leidminderung zusätzlich auch der quantitative Leidminderungsaspekt utilitaristisch berücksichtigt und in politische Handlungsstrategien umgesetzt werden. Solche Bestrebungen will der von mir initiierte Peter-Singer-Preis für Strategien zur Tierleidminderung fördern. Er wird ab 2015 jährlich vergeben werden und ist mit 10.000,- Euro dotiert. Peter Singer als dem meistbeachteten Philosophen der modernen Tierbefreiungsbewegung gebührt die Ehre, heute der erste Preisträger des nach ihm benannten Preises zu werden.

Der Preis soll auch auf jede Bürgerin und jeden Bürger eine Signalwirkung ausüben, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie/er einen persönlichen Beitrag leisten kann, um unnötige Schmerzen und unnötiges Leid nicht nur bei Menschen und Haustieren, sondern bei allen leidensfähigen Lebewesen in ihrem/seinem persönlichen Einflussbereich zu reduzieren.

Die Finanzierung des Peter-Singer-Preises einschließlich aller Nebenkosten ist auf lange Sicht noch nicht definitiv abgesichert; insofern sind weitere Fördermitglieder herzlich willkommen und Spenden erwünscht.

 

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