PSP 2019

hdp-Artikel vom 04.07.2019, von Daniela Wakonigg

Verleihung des Peter-Singer-Preises 2019:
Einsatz für Tiere jenseits der eigenen Komfortzone

Für die Entwicklung effektiver Strategien zur Tierleidminderung wurde am vergangenen Samstag Mahi Klosterhalfen mit dem Peter-Singer-Preis 2019 ausgezeichnet. Tenor der Preisverleihung und Motto des Preisträgers: Wer Tierleid vermindern will, muss die eigene Komfortzone verlassen und auch ungeliebte Kooperationen suchen – grundsätzliche Gegner der Nutztierhaltung ebenso wie jene, die nicht auf Fleisch verzichten wollen.

Die Biografie des diesjährigen Peter-Singer-Preisträgers Mahi Klosterhalfen hatZüge eines Hollywood-Drehbuchs: Als BWL-Student fällt ihm die Autobiografie von Gandhi in die Hände. Eine Stelle im Buch beeindruckt ihn besonders. Als Ghandi sehr krank ist, bestehen seine Ärzte darauf, dass er Hühnersuppe isst, da er sonst sterben würde. Ghandi jedoch weigert sich mit dem Hinweis, dass er lieber sterben würde, als für den Tod eines anderen Lebewesens verantwortlich zu sein. Bekanntlich überlebte Ghandi den Hühnersuppen-Verzicht und starb später an den Folgen menschlichen Irrsinns durch das Attentat eines fanatischen Hindu-Nationalisten. Die Hühnersuppen-Episode in Ghandis Biografie lässt den BWL-Studenten Klosterhalfen seinen Fleischkonsum überdenken und zum Veganer werden. Doch damit nicht genug. Er überzeugt auch den Chef der Mensa, keine Käfigeier mehr zu verwenden. Durch diese Aktion wird der Gründer der Tierschutzorganisation „Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt“ 2007 auf Klosterhalfen aufmerksam und engagiert ihn. Gemeinsam folgen unter anderem erfolgreiche Gespräche mit deutschen Supermarktketten über den Ausstieg aus dem Verkauf von Käfigeiern und die Ausweitung des veganen Sortiments. Dank seiner BWL-Kenntnisse baut Klosterhalfen die Albert-Schweitzer-Stiftung vom Ein-Mann-Betrieb zu einer bekannten Organisation mit heute rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von fast 2 Millionen Euro aus, die die Stiftung hauptsächlich für Kampagnen zur Leidminderung sogenannter Nutztiere verwendet.

Für diese Aufbauleistung erhielt Mahi Klosterhalfen, der heute geschäftsführender Vorstand der Albert-Schweitzer-Stiftung ist, am Samstag in Berlin den mit 10.000 Euro dotierten Peter-Singer-Preis, der seit 2015 jährlich vom „Förderverein des Peter-Singer-Preises für Strategien zur Tierleidminderung e.V.“ verliehen wird. Das Preisgeld wird, so Klosterhalfen, der Albert-Schweitzer-Stiftung zugute kommen, um deren Kampagnen zur Leidminderung von Nutztieren weiter voranzubringen. Klosterhalfen wies in seiner Dankesrede darauf hin, dass es zum Erreichen dieses Ziels notwendig sei, als Tierfreund die eigene Komfortzone zu verlassen, sprich sich auch auf Gespräche mit Akteuren rund um die Nutztierindustrie einzulassen.

Das Verlassen der eigenen Komfortzone war auch das bestimmende Motiv des umfangreichen Vortrags-Rahmenprogramms der Preisverleihung. Wobei das Verlassen der Komfortzone sowohl den grundsätzlichen Gegnern der Nutztierhaltung im Publikum abverlangt wurde als auch jenen, die nicht auf den Verzehr von Fleisch verzichten wollen. Ersteren dürfte nicht geschmeckt haben, dass die Abschaffung der Nutztierhaltung sowie Tierrechte bei der diesjährigen Verleihung des Peter-Singer-Preises nicht einmal ansatzweise diskutiert wurden. Für Letztere dürfte die Information schwer verdaulich gewesen sein, dass eine auch nur einigermaßen angemessene und leidfreie Haltung von Nutztieren enorme Kosten verursachen und Fleisch sowie tierische Produkte erheblich verteuern würde. Eine Einschätzung, die nicht von vermeintlich ahnungslosen Tierschützern stammt, sondern von den Vortragenden des Abends – durchweg Experten in der Nutztierhaltungsforschung.

Prof. Dr. Edna Hillmann, Spezialistin für Tierhaltungssysteme am Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der HU Berlin gab einleitend einen Überblick darüber, was in der einschlägigen Forschung unter „Tierwohl“ verstanden wird. Hierzu gehöre neben der Vermeidung von Hunger und Durst, Unwohlsein, Schmerzen, Krankheiten, Furcht und Stress auch die Möglichkeit, dass ein Tier sein natürliches Verhalten ausleben könne. Bei Schweinen sei es beispielsweise ein natürliches Verhalten, die Umgebung in verschiedene Bereiche für Ruhe, Fressen, Aktivität und Koten aufzuteilen. Dieses Verhalten auszuleben, sei in der aktuell üblichen Schweinehaltung nicht möglich. Auch die von der Politik derzeit geplanten minimalen Vergrößerungen der festgelegten Haltungsfläche pro Schwein änderten daran nichts.

Dass die gegenwärtige Nutztierhaltung mit „Tierwohl“ im genannten Sinne nicht viel zu tun hat, darauf verwiesen auch die Präsidentin der Tierärztekammer Berlin, Dr. Heidemarie Ratsch, die über tiergerechte Nutztierhaltung im Spiegel des Ethikkodexes der Tierärztinnen und Tierärzte Deutschlands referierte, sowie Dr. Michael Marahrens von der tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V. Letzterer berichtete unter anderem von seinen Versuchen zur Schlachtbetäubung von Schweinen mit Stickstoff, da die Tiere unter der derzeit üblichen Betäubung mit Kohlendioxid starke Schmerz- und Atemnotreaktionen zeigten – weswegen die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) auch die Abschaffung dieser Methode empfiehlt. Veterinär-Physiologe Prof. Dr. Holger Martens von der FU Berlin zeigte am Beispiel der Milchkühe ferner auf, wie Tierleid durch einseitige Züchtung auf Leistung entsteht. So komme es bei modernen Hochleistungskühen oft zu Klauenproblemen, die in direktem physiologischen Zusammenhang mit ihrer Milchleistung stehen. Die Tiere erleiden hierdurch Schmerzen und nicht selten kommt es zu einer Schlachtung noch in jungem Alter.

Beispielbild

Auf die ökonomischen Aspekte eines verbesserten Tierschutzes in der Nutztierhaltung ging Prof. Folkhard Isermeyer ein, Präsident des Thünen-Instituts. Das landwirtschaftliche Forschungsinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erarbeitet wissenschaftliche Grundlagen als Entscheidungshilfe für die Politik der Bundesregierung. Isermeyer machte mehr als deutlich, dass der Markt ein ungeeignetes Werkzeug ist, um Tierwohl zu gewährleisten. Zwar fordert der Verbraucher Tierwohl, weil er Fleisch und andere tierische Produkte mit gutem Gewissen verzehren will, doch letztlich lässt er sich leicht und gern täuschen. Isermeyer verwies diesbezüglich auf die Macht entsprechender Bilder wie zum Beispiel fröhliche Bauernhofhühner auf Eierverpackungen, während in der Realität 18 Legehennen auf dem Raum einer Duschkabine leben müssten. Auch das geplante Tierwohl-Label sei von einem Wohl der Tiere im wissenschaftlichen Sinne weit entfernt. Tierwohl, so Isermeyer, koste Geld. Da der Markt jedoch billige Produkte fordere, müsse der Staat investieren, um das im Grundgesetz festgeschriebene Staatsziel „Tierschutz“ umzusetzen. Isermeyer geht von rund 3–5 Milliarden Euro Zahlungen an Landwirte pro Jahr aus, um die Haltung sämtlicher Tierarten im Sinne des Tierwohls angemessen umzustellen. Zur Gegenfinanzierung plädiert er für eine Anhebung der Mehrwertsteuer vom derzeit reduzierten auf den normalen Satz für Fleisch und Milch. Wenn beides teurer würde, sei auch mit einem Rückgang des Verbrauchs zu rechnen, was zusätzlich positive Auswirkungen auf das Klima und regionale Umweltproblematiken durch umfangreiche Nutztierhaltung habe.

Neben der sehr intensiven Diskussion um die Problematik des Tierwohls in der Nutztierhaltung wurden im Rahmen der Preisverleihung auch juristische Aspekte der Nutztierhaltung thematisiert. Der Rechtsanwalt, Experte für Tierschutzrecht und ehemalige CDU-Politiker Hans-Georg Kluge referierte über von ihm rechtlich betreute Fälle von Stalleinbrüchen sowie aktuelle einschlägige Urteile. Besonders hob Kluge das vor wenigen Wochen ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Kükentöten hervor. In § 1 des deutschen Tierschutzgesetztes heißt es „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“. Bislang hätten Gerichte dazu tendiert, ökonomische Gründe – wie das Töten der für die Nutztierindustrie wertlosen männlichen Küken – als „vernünftige Gründe“ anzuerkennen. Nun sei jedoch erstmals obergerichtlich entschieden worden, dass ökonomische Gründe nicht unmittelbar vernünftige Gründe seien. Entsprechend muss nun in Brutbetrieben auf die technisch längst machbare frühzeitige Geschlechtserkennung im Ei umgestellt werden und das Kükentöten bleibt nur für eine Übergangszeit weiterhin erlaubt.

Die Laudatio auf den Preisträger hielt schließlich Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper, der 1987 die Vereinigung „Juristen für Tierrechte“ gegründet und wohl für den größten rechtlichen Fortschritt für Tiere in Deutschland gesorgt hat: In den 1990er Jahren leitete er maßgeblich die Bestrebungen zur Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz, welche 2002 erfolgte. Von Loeper lobte vor allem die Verknüpfung von Wirtschaft und Tierschutz, die Preisträger Mahi Klosterhalfen erreicht habe.

Das Schlusswort am Ende der rund vierstündigen Veranstaltung hatte schließlich der Empfänger des 5. Peter-Singer-Preises für Strategien zur Tierleidminderung selbst: „Lassen Sie uns die Hebel finden, um Tierleid zu beenden“, appellierte Klosterhalfen ans Publikum. „Und lassen Sie uns diese Hebel nutzen, auch wenn das außerhalb unserer Komfortzonen liegt.“

Download: Flyer Peter-Singer-Preis 2019 (.pdf)

Der fünfte Peter-Singer-Preis für Strategien zur Tierleidminderung wird am Samstag, dem 29. Juni 2019, in Berlin an Herrn Mahi Klosterhalfen verliehen.

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