„Peter Singer in der Urania“

Quelle: Humanistischer Pressedienst (hdp), 27.05.2015, von Frank Nicolai

BERLIN. (hpd) Geschätzt 250 Protestierende standen am gestrigen Nachmittag vor der Urania. Drinnen im Kleistsaal sprach Peter Singer bereits mit Journalisten des ZDF. Die Preisverleihung hatte bereits im Vorfeld für kontroverse Debatten gesorgt, die sich auf die problematischen Äußerungen Singers bezogen.

Gemeinsam mit Behindertenverbänden demonstrierten selbsternannte „Lebensschützer“ gemeinsam mit einigen wenigen Linken vor der von zwei lockeren Reihen Polizei abgesperrten Urania. In der Caféteria gab es den Kaffee aus Pappbechern: „aus Sicherheitsgründen dürfen heute keine Tassen gereicht werden“ hieß es. Aus dem gleichen Grund war die Kontrolle am Einlass ungemein streng, nur Gäste, die auf einer Liste standen, durften das Gebäude betreten. Allerdings hatte im Vorfeld kaum jemand Kenntnis von einer solchen Liste, die weder auf der Webseite der Urania noch der des Veranstalters erwähnt war. So kam es, dass der Festakt in einem knapp halbvollen Saal stattfand.

„Vor dem Haus die Transparente – im Haus die Argumente“ forderte der Direktor der Urania, Dr. Bleyer, zu Beginn der Veranstaltung und erklärte, weshalb die Veranstaltung im Haus der Urania stattfindet. Den Singer-Kritikern  wurde zu Beginn der Veranstaltung Rederecht eingeräumt und so kam eine erste Rede von Johannes Igel, der das Denkmal für Contergan-Opfer initiierte. Er bat um Verständnis für Behinderte und wies darauf hin, dass auch sie Träger von Menschenrechten sind. Gerhard Steier, der jährlich den „Marsch für das Leben“ organisiert, versuchte zwar, sich zurückzuhalten in seiner Rede, konnte aber seinen christlich-fundamentalistischen Background dabei nicht verstecken.

Dr. med. Walter Neussel hielt dann eine – selbst so bezeichnete – Gegenrede zu den beiden kritischen Stellungnahmen und erinnert an die Preise und Ehrungen, die Peter Singer allein in den letzten sieben Tagen erhalten hat. Er wies darauf hin, dass es unerträglich sei, dass einem weltweit angesehenen Philosophen, der drei seiner Großeltern im Holocaust verloren hat, in Deutschland unterstellt wird, Gedanken der Nazis hoffähig machen zu wollen.

Er übergab das Wort an die Philosophin Melanie Joy, die zum Vortrag „Animal-Protection in Indien“ überleitete, den die Ministerin Maneka Ghandi hielt, die zudem Präsidentin der People for animals in Indien ist. Maneka Ghandi sprach darüber, wie wichtig Peter Singer für ihre eigene Entwicklung zur Tierrechtlerin war.

Ihrem Kampf gegen das Töten von Tieren ist es unter anderem zu verdanken, dass in Indien Tiere nicht mehr im Zirkus auftreten oder der „Belustigung“ von Menschen dienen müssen. Doch auch der Handel mit toten Tieren und deren Teilen, die vor allem nach China geliefert werden, weil man dort meint, diese wirken medizinisch oder steigern die Potenz, ist inzwischen verboten worden.

In Indien werden jährlich Hunderte an Filmen gedreht, in denen Tiere als Opfer „mitspielen“, dabei werden viele von ihnen getötet. Die Organisation People for animals produziert Filme und Bücher, in denen gezeigt wird, dass Tiere empfindende Lebewesen sind.

Als Maneka Ghandi über Tierquälerei sprach, war sie sichtbar emotional berührt – eine Ministerin, die für die Sache „brennt“, die sie vertritt, ist leider ein sehr seltener Anblick.

Melanie Joy sprach anschließend über ihre wissenschaftliche Laufbahn – wo sie sehr schnell zu Singer kam. Bei ihm hörte sie, was Tierrechte bedeuten und wie fundamental anders das Denken über Tierrechte war und ist, das Singer vertritt. Auf dieser Grundlage entwickelte sie auch den Begriff des Karnismus. Vegetarier sein ergibt sich für sie danach logisch aus dem Wissen um die Leidensfähigkeit der Tiere.

In der Gesellschaft sei das Essen von Tiere noch normal: „Ein Schwein ist ein Schwein und ein Schwein ist wie das andere“ – so denken die Menschen und machen sich keine Gedanken darüber, dass das Beef in ihrem Hamburger einmal ein fühlendes Wesen war. Es sei jedoch nur eine Frage der Zeit, dass hier ein weltweites Umdenken erfolgen wird. Deutschland, so Melanie Joy weiter, ist eines der Länder, in dem die ethische Diskussion um den Fleischverzehr schon öffentlich geführt werde.

Sie verlas ein Grußwort des englischen Autoren und Pioniers der modernen Tierbefreiungsbewegung und Tierrechtsbewegung, Richard Snyder, in dem dieser darauf hinwies, dass der Mensch eine Spezies unter Millionen sei. Der Speziesismus, der sich darin zeigt, dass unsere Spezie sich anmaßt, das Leid anderer für den eigenen Nutzen in Kauf zu nehmen, sei eines der wichtigsten zu lösenden Problemen, mit dem die Menschheit sich derzeit befassen müsse.

Der Ausrichter des „Peter-Singer-Preises für Strategien zur Tierleidminderung“, Dr. med. Walter Neussel, erklärte, weshalb der Preis gestiftet wurde. Seine komplette Rede lässt sich auf der Webseite des Fördervereines nachlesen. Interessant ist hier vor allem die Verknüpfung zwischen Belangen des Tierschutzes und einer deutlichen Kapitalismuskritik.

Der Europa-Abgeordnete Stefan Bernhard Eck sagte am Beginn seiner (sehr langen) Rede: „Peter Singers Ideen sind logisch, frei von Religion und einfach zu verstehen.“ Dies schien allerdings angesichts der Proteste vor der Tür eher fraglich zu sein.

Der ehemalige Bundesvorsitzender der Tierschutzpartei wies in seinem Vortrag „Politik der Werte und des Mitgefühls auf der Grundlage des Ethik-Konzeptes von Peter Singer“ darauf hin, dass Themen rund um den Tierschutz in den vergangenen Jahren immer stärker auch europäische Politik mitbestimmt haben.

Nach der Übergabe des Preises an Peter Singer sprach dieser in seiner Dankesrede über „effektive Strategien zur Reduzierung des Tierleids“ („Effective Strategies to Reduce the Suffering of Animals“).

Sein Buch, so Singer bescheiden, sei nur ein kleiner Teil einer inzwischen internationalen Bewegung. „Vor 15 Jahren wusste niemand, was ein Vegetarier ist – vielleicht Außerirdische von der Wega? Heute ist es normal, dass es veganes und vegetarisches Essen gibt.“

Trotz aller Erfolge schränkte er ein: „Ich bin noch nicht glücklich mit dem, was erreicht wurde, wenn ich daran denke, wie viele Tiere noch immer leiden müssen.“ Er forderte ein effektives (und vernünftiges) Leben, das Tiere mit einschließt. Noch immer – so der Preisträger – unterscheiden wir zwischen Tieren, die wir essen und denen, die wir gern anschauen. Noch immer reden wir von der „Produktion von Tieren“. Schon allein diese Wortwahl zeige, wie wenig Empathie wir den Tieren entgegenbringen. „Es ist einfacher, Tiere zu essen als seinen Geist zu erweitern.“

Singer wies darauf hin, dass es in der Hand der Verbraucher liege, die Industrie und den Handel dazu zu bringen, weniger Tiere zu töten: „Konsumenten haben eine Stimme und wenn die Käufer keine tierische Produkte mehr kaufen, wird daraus logisch folgen, dass die Industrie immer weniger ‚produziert‘.“ Er forderte seine Zuhörer auf, sich in politischen Parteien und Gruppen für die Tierrechte stark zu machen. Eine Vernetzung der weltweiten Tierrechtsbewegung sei umumgänglich, „das habe ich auch in meinem aktuellen Buch über ‚effektiven Altruismus‘ beschrieben.“

Doch gab er sich auch vorsichtig optimistisch und nannte Beispiele für Änderung in der industriellen Tierproduktion in den USA. Dort sei auch wegen der Aufklärung und des Wechsels im Denken der Menschen einiges in Bewegung geraten, was vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Selbst große Ketten wie McDonalds oder Walmart mussten sich darauf einstellen, dass die Verbraucher kritischer wurden. Er dankte für den Preis und gab bekannt, dass er das Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro spenden werde.

Die Veranstaltung – mit Ausnahme der beiden Gast-Redner am Beginn der Veranstaltung – fokussierte sich auf die unbestreitbaren Verdienste des Philosophen Peter Singer für eine neue Tierethik. Leider boten Veranstalter und Urania keine Übersetzung der fast vollständig in Englisch gehaltenen Veranstaltung an, so dass viele der Reden und Aussagen nicht die Aufmerksamkeit bekamen, die ihnen zugestanden hätte.

Trotzdem konnten sich die wenigen Besucher der Veranstaltung den Worten von Melanie Joy anschließen: „Thank you, Peter Singer…“

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